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Verwaltungsgebäude des alten Verbandes 1929

Der alte Verband

Mit der Liberalisierung des preußischen Bergrechts zwischen 1851 und 1865 und der Aufhebung des staatlichen Direktionsprinzips zugunsten des Inspektionsprinzips hatte sich die rechtliche Situation der Bergleute einschneidend gewandelt. Waren sie zuvor innerhalb des durch Staatsbeamte organisierten und kontrollierten Bergbaus Angehörige eines privilegierten Berufsstandes mit weitreichender Arbeitsplatzsicherheit und geregelten Arbeitsverhältnissen, bestimmten von nun an die privaten Zechengesellschaften die Bedingungen des Arbeitsvertrages. Im Rahmen der Industrialisierung während der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts änderten sich zudem alle weiteren Grundlagen des Bergmannsberufes. Der Übergang vom Stollen- zum Tiefbau, das rasante Größenwachstum der einzelnen Zechen, die Ausdehnung des Reviers nach Norden mit zunehmender Teufe der Zechen, neue Abbaumethoden und Maschinentechnik – all dies sorgte in Verbindung mit z. T. harschen Disziplinierungsmaßnahmen der Zechenverwaltungen für eine dauerhafte Verschlechterung der Situation der Bergleute. Konjunkturelle Schwankungen und Absatzeinbußen wirkten sich direkt auf die Lohnhöhe und die Arbeitsanforderungen aus oder sorgten gar für Massenentlassungen. Gleichzeitig stieg die Anzahl der Bergleute im Ruhrgebiet von 12.300 im Jahr 1850 auf rund 50.000 im Jahr 1870, erreichte die Grenze von 100.000 im Jahr 1885, überschritt 1899 die Marke von 200.000 und stieg bis 1913 auf einen vorläufigen Höchststand von fast 450.000 Mann.

Nachdem es bereits Ende der 1860er- und Anfang der 1870er-Jahre im Ruhrgebiet zu ersten, noch lokal begrenzten Ausständen der Bergleute gekommen war, folgte im Frühjahr 1889 der erste große Bergarbeiterstreik, bei dem über 80 % der Belegschaften die Arbeit niederlegten. Die Forderungen betrafen die Beschränkung der Schichtzeiten und der Überstunden sowie eine Lohnerhöhung von bis zu 20 %. Obwohl der Bergbau-Verband als Sprachrohr der Zechengesellschaften zunächst eine unnachgiebige Haltung vertrat und wie die Polizei den Einsatz des Militärs gegen die Streikenden forderte, kann der Streik in mehrerlei Hinsicht als Erfolg gewertet werden. Die Bergarbeiter erreichten zunächst gewisse Zugeständnisse, gewannen aber – was im Nachhinein viel bedeutsamer war – die Öffentlichkeit für ihre Sache, sodass Kaiser Wilhelm II. sogar eine Abordnung der Arbeiter empfing und letztlich eine aufgeschlossenere Sozialpolitik befürwortete, und legten den Grundstein für die erste Bergarbeitergewerkschaft.

Am 18. August 1889 fand in Dortmund-Dorstfeld ein Delegiertentag der Bergarbeiter des Ruhrgebiets statt, auf dem die Gründung eines „Verbandes zur Wahrung und Förderung der bergmännischen Interessen in Rheinland und Westfalen“, des später sogenannten „Alten Verbandes“, beschlossen wurde, der nach den Vorstellungen der Anwesenden die Basis für einen reichsweiten Verband werden sollte. Ende des Jahres erreichte der Verband bereits knapp 17.000 Mitglieder und 1891 rund 46.000. Bochum wurde 1890 auf dem Deutschen Bergarbeitertag in Halle als Verbandssitz bestimmt und die Umbenennung in „Verband deutscher Bergleute“ (später Verband der Bergarbeiter Deutschlands) beschlossen. Verschiedene politische und finanzielle Fehler leiteten nun jedoch eine Erosion ein, die in einem dramatischen Mitgliederschwund auf nur noch 5.000 im Jahr 1895 Ausdruck fand und eine Spaltung der Gewerkschaftsbewegung herbeiführte, als sich der christlich orientierte Flügel 1894 im „Gewerkverein christlicher Bergarbeiter“ mit Sitz in Essen organisierte. Ausschlaggebend für die Krise des Alten Verbands Mitte der 1890er-Jahre waren sowohl die große Nähe des Vorstands zur Sozialdemokratie, die bei einem großen Teil der vielfach zentrumsnah orientierten Bergleute auf wenig Gegenliebe stieß, als auch ein Meineidsprozess, der dem Vorstand unberechtigterweise Gefängnisstrafen einbrachte. Obwohl beide Verbände im Verlauf des wirtschaftlichen Booms des ausgehenden Jahrzehnts steigende Mitgliederzahlen zu verzeichnen hatten und eine feste Anhängerschaft gewannen, sorgten erbitterte Streitigkeiten zwischen beiden Gruppen für eine Schwächung der Bergarbeiterbewegung. Intellektuelle Meinungsführer waren auf Seiten des Alten Verbandes Otto Hue, der 1895 die Redaktion der vereinseigenen „Bergarbeiter-Zeitung“ übernommen hatte, und beim Gewerkverein ab 1905 Heinrich Imbusch als Redakteur des „Bergknappen“. Hue avancierte schnell zum Vordenker der Gewerkschaftspolitik und Historiograph der Bergarbeiterschaft. Neben diesen beiden Verbänden bestanden Anfang des 20. Jahrhunderts noch der liberale Hirsch-Dunkersche Gewerkverein sowie die 1902 in Bochum gegründete polnische Gewerkschaft Zjednoczenie Zawodowe Polskie (Polnische gewerkschaftliche Vereinigung, ZZP) mit Sitz am Kortländer. Bochum kann damit als Hauptstadt der Bergarbeitergewerkschaften angesehen werden.

Nach der finanziellen Stabilisierung des Alten Verbands beschloss die Generalversammlung 1903 den Bau eines Verwaltungsgebäudes an der Wiemelhauser Straße (heute Universitätsstraße zwischen Autohaus Lueg und Hermannshöhe). Unter den Bergleuten hieß das Gebäude „Sachsenburg“ nach dem damaligen Verbandsvorsitzenden Hermann Sachse. In direkter Nachbarschaft entstanden bis 1906 zudem drei Häuser mit Wohnungen für Vorstandsmitglieder.

Als eine der größten und einflussreichsten Gewerkschaften Deutschlands mit zeitweise über 400.000 Mitgliedern stand der Alte Verband 1933 im Mittelpunkt der nationalsozialistischen Verfolgung. Schon kurz nachdem die NSDAP bei den Reichstagswahlen am 5. März die absolute Mehrheit erreicht hatte, begannen die Repressalien mit dem Ziel der Zerschlagung der Gewerkschaften und der Überführung der Organisationen in nationalsozialistische Strukturen. In der Nacht vom 10. auf den 11. März drangen SA-Männer in das Hauptverwaltungsgebäude ein, wo sie schwere Verwüstungen anrichteten. Kurz darauf wurden fast alle führenden Gewerkschafter, darunter der seit 1920 amtierende Verbandsvorsitzende Fritz Husemann, verhaftet. In den folgenden Wochen kam es zu regelmäßigen Angriffen auf offener Straße, weiteren Verhaftungen und schweren Misshandlungen, u. a. in dem berüchtigten Folterkeller der stillgelegten Zeche Gibraltar. Husemann erreichte zwar nach zehn Tagen die Räumung der Sachsenburg, doch war die Freigabe mit der Auflage verbunden, dass „jede staatsfeindliche Betätigung im Sinne des Marxismus“ unterbleiben müsse und ein Staatskommissar zur Überwachung der Verbandsarbeit eingesetzt wurde. Bei den Betriebsratswahlen im Ruhrbergbau verlor der Alte Verband schließlich seine führende Stellung bei den Bergarbeitern des Ruhrgebiets an die „Nationalsozialistische Betriebszellen-Organisation“. Am 2. Mai 1933 wurde die Hauptverwaltung erneut besetzt und der Alte Verband kurz darauf zerschlagen. Fritz Husemann wurde am 18. März 1935 erneut verhaftet und in das Konzentrationslager Esterwegen eingeliefert, wo er am 15. April von Wachmannschaften ermordet wurde.

Nachdem im Ruhrgebiet bereits im April 1945 die ersten Gewerkschaften neu gegründet worden waren, entstand am 8./9. Dezember 1946 der Industrieverband Bergbau, der am 1. Juli 1947 das wiederaufgebaute Bürohaus Bochum an der Alten Hattinger Straße bezog. Die alte Verbandszentrale war wie die Vorstandswohnhäuser 1944 irreparabel zerstört worden. Anlässlich des 50. Jahrestages der Besetzung der alten Hauptverwaltung erhielt das neue Gebäude am 11. März 1983 den Namen „Fritz-Husemann-Haus“.

Dietmar Bleidick


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